Cannabis mag in vielerlei Hinsicht ein Segen gewesen sein – doch möglicherweise ist zu viel mentale Beschleunigung ab einem gewissen Punkt doch schädlich, falls man denn möglichst unbeschadet durch die stürmische See segeln möchte.
In einer Abwärtsspirale aus Paranoia und dem ständigen Wechsel zwischen verschiedenen Betrachtungsweisen im Hinblick auf meine Erlebnisse, verlor ich auch das letzte bisschen anerzogene Realität.
Und hat man erstmal den Punkt erreicht, da kein Wissen mehr existiert und man sich auf der Suche nach den versteckten Zeichen des Universums von dunklen Pfaden verfolgt fühlt – so darf man sich nicht wundern, wenn man plötzlich ein Fenster aufgehen sieht, das einen dazu verleiten möchte, aus dem vierten Stock zu springen. Oder wenn es nur zu viel Sinn ergibt, vor das herannahende Auto zu rennen.
Am Rande der Welt hörte ich die Schreie aus der Folterkammer der Hölle, war gefangen in einer Endlosschleife jenseits von Raum und Zeit, und gewann (wahrscheinlich aus Furcht vor der Grausamkeit meines eigenen Verstandes) das Hin und Her mit dem Gedanken, mich mit einem Küchenmesser selbst auszuweiden.
Der Verfolgte versucht zu fliehen. So verließ ich verstört die Wohnung und zog die Tür hinter mir ins Schloss ohne einen Schlüssel mitzunehmen, nur um in aller Ausweglosigkeit auf halber Strecke den Zug zurück zu wählen und weinend auf den Schlüsseldienst zu warten.
Das Chaos breitete sich in meinem Verstand aus. Wie war es verdammt nochmal überhaupt möglich, in so einer verrückten Welt zu leben. Viel zu unlogisch erschien mir die Geschichte, in der ich gefangen war – und umso mehr ich darüber nachdachte, desto wahrscheinlicher wurden die abertausenden von düsteren Möglichkeiten, welche mich in dieses Szenario geführt haben konnten.
Als ich ein weiteres Mal in dem Glauben loszog, es könne sich eine Hintertür bei dem Versuch öffnen, lief ich zuerst in Richtung Park. Es war mittlerweile für mich zur Gewohnheit geworden, dort meine Runde spazieren zu gehen – so half es mir doch immer den Kopf frei zu bekommen.
Doch dieses Mal war es anders. Etwas war düsterer als ich loszog. Mein Verstand war ein Schatten seiner selbst und suchte fast schon panisch nach einer Lösung für dieses verdammte Rätsel.
Ich glaube ich hatte zuvor einen Film gesehen, weshalb ich so halb erwartete, im Park einen sprechenden Hund zu treffen. Doch so weit kam es nicht. Ich bog um die Ecke kurz bevor ich den Park erreichen würde und da kam er mir entgegen – ein Hund. An einer Leine? Mit einem Herrchen? Irgendwas stimmte nicht, ich machte einen Schritt auf den Hund zu – und als dieser wider meiner verstörten Erwartung, sein böses Gesicht zu zeigen, sich freundlich an mein Bein schmiegte, passierte der Kurzschluss.
Es ist komisch, sich an eine Sache so detailliert zu erinnern und doch so wenig Kontrolle gehabt zu haben. Ich weiß noch genau, wie ich plötzlich hemmungslos auf den Hundebesitzer einschlug. Ich war in Rage – doch mein Verstand war ganz ruhig. Fast schon neutral fühlte ich mich, als würde ich das Geschehen von außen beobachten.
Das große Glück für alle Beteiligten war wohl, dass ein anderer Passant die Situation kreuzte und statt sich zurückzuziehen, instinktiv den Versuch unternahm, mich von dem Hundebesitzer wegzuzerren. Er schaffte es und plötzlich befand ich mich wieder in meinem Körper – völlig verwirrt und in Panik rannte ich davon.
Weit genug entfernt setzte ich mich auf eine Parkbank. Ich hatte mir den kleinen Finger der rechten Hand gebrochen – doch das war mir egal. Nur eine Nebensache.
Als ich dann ein paar Stationen später wieder Zuhause ankam, konnte ich nicht akzeptieren, dass ich immer noch in dieser Welt feststeckte und ich nicht wie erhofft, die richtigen Hebel bedienen konnte. Ich konnte also nicht gescheitert zurück in meine Wohnung, klingelte stattdessen einmal an der falschen Tür und lehnte mich dann im Treppenhaus an das Geländer. Während ich grübelte, was nun der Hinweis des Universums für meinen nächsten Schritt sein könnte, benahm ich mich seltsam. In Computerspielen war es ganz normal, dass NPCs („Non-Player Characters“) immer die gleichen Sätze wiederholten, wenn man ihnen die gleiche Frage stellte – wie würden also die Bots in meiner Simulation reagieren, wenn ich dasselbe tat? Kurze Antwort – die Polizei rufen…
Ich schaffte es noch auf den Dachboden, für den ich ohne es überhaupt zu wissen, den passenden Schlüssel am Schlüsselbund hatte und setzte mich in den Sessel, der da stand. Ab hier ging es nun wirklich nichtmehr weiter. Vor mir stand ein Spiegel und ich überlegte, wo er mich hinführen würde, wenn ich durch ihn hindurch gehen könnte. Und als mein Blick so umherschweifte, entdeckte ich eine Leiter.
Der Spiegel war eine schlechte Idee – also wählte ich die Leiter und kletterte die Balken hoch zu einem Vorsprung wo ein Matratze lag. Einladend sah das Ganze nicht aus, also blieb eigentlich nur, auf der anderen Seite wieder von den Balken herunterzuspringen, um in ein anderes Multiversum zu wechseln. Doch so weit kam es nicht. Mehrere Polizisten stürmten den Dachboden, kletterten mir hinterher, bekamen mich zu fassen und zogen mich zurück in diese Welt. Dass ab hier jeder Widerstand zwecklos war, war mir instinktiv bewusst und ich leistete keinen Widerstand als man mich durch eine Reihe an Haltepunkten führte, um mich letztendlich in der Psychiatrie abzuladen.
Die letzte Sackgasse vor der Apokalypse – ich war an einem der grausamsten Orte unserer modernen Wegwerfgesellschaft angekommen.
Von diesem Ort bleiben mir vor allem Geschichten über Menschen, die wie das Rumpelstilzchen herumliefen oder wie gefoltert nichts anderes taten als wimmernd und schreiend den einen Gang auf und ab zu laufen. Ich erinnere mich an den Gestank im Zimmer – es roch fast meinen ganzen Aufenthalt lang nach Urin, weil mein alter dementer Zimmernachbar einmal nachts an die Wand pinkelte. Es bleiben die Bilder von Leuten, die in den ersten Tagen nach meiner Ankunft diesen Ort verließen und gegen Ende meines Aufenthalts nach einem Koks-Exzess wieder da waren. Ich erinnere mich auch an den schwulen Alkoholiker, mit dem ich mich nett unterhielt und von dem ich mich am Ende leicht bedrängt fühlte. Und es bleibt die Verunsicherung vor dem Typen, der sich die Hose runterzog, um mit seinem Schwanz vor mir herum zu wedeln – genauso wie die mir gestellte Frage, ob ich das Spiel spielen wollte, von dem ich sagte, dass ich es nicht kenne und dessen Regeln man mir weder vor noch nach der Frage erklärte (… klares „Nein“).
Direkt zu Beginn gab ich außerdem meine Uhr und mein Armband weg – doch beides gab man mir ein paar Tage später wieder zurück. „Ich will es nicht“ – „Ich kann das nicht annehmen“ – Mein Schicksal wurde ich nicht los.
Nach ein paar Tagen wurde ich wieder klarer. Ich versuchte mich zu konzentrieren, nicht weiter aufzufallen, meine Zeit abzusitzen und hatte kaum eine Beschäftigung als mit der Corona-Maske vor dem Mund von morgens bis abends den selben Flur auf und ab zu gehen. Einmal hatte ich die Chance ein Mandala zu malen und ein paar Mal konnte ich raus in den Hof, um mit einem Betreuer Tischtennis zu spielen oder eine Runde draußen zu gehen – aber mir ging es durch und durch beschissen. Auch nachts fand ich auf dem harten Bett keinen erholsamen Schlaf. Es war der reinste Überlebenskampf auf (unbestimmte) Zeit.
Die Chemie, die man mir verabreichte und die mir in meinem Zustand helfen sollte, war vor allem dazu da, mich ruhig zu stellen und machte mich wahrscheinlich sogar mehr (körperlich) abhängig als das Cannabis – als ich es absetzte, erlebte ich richtige Entzugserscheinungen mit nächtlichen Schweißausbrüchen, die laut Aussage der Ärztin auch wirklich von den Tabletten und nicht vom Graskonsum stammten.
Man braucht einen eisernen Willen, um aus dem Loch wieder herauszukommen. Mir war der eine Pfleger bereits vorher durch den beissenden Geruch seines Parfüms und die Symbolik seiner Tattoos negativ aufgefallen – der erste Eindruck bestätigte sich, als er mir offensichtlich beim Hofgang Gras anbot (also wenn man mich fragt, roch das was er sich da anzündete eindeutig nach einem Joint und nicht nach einer Zigarette). Außerdem bot er mir am Abend vor meiner Entlassung nochmal die Tablette an, von der die Ärztin sagte, dass ich sie mehrere Tage abgesetzt haben musste, bevor ich entlassen werden konnte. Als ich ablehnte und ihm sagte, was die Ärztin mir gesagt hatte, entgegnete er nur überrascht etwas in der Art wie „Ach Sie wissen es also schon. Normalerweise sagen wir es den Patienten vorher nicht, wenn sie entlassen werden, um sie nicht aufzuregen“. Er wusste es also und bot mir das Gift trotzdem an…
Als ich nach dem Aufenthalt in der Klapse nach Hause kam, war die Gravitation schwerer geworden. Ich war ein körperliches und geistiges Wrack ohne Identität und Zukunftsperspektive.
