Jahr um Jahr

Nahtod

Daran, dass ich als Kleinkind fast mal an einem Stück Apfel erstickt wäre, kann ich mich kaum noch erinnern. Doch woran ich mich noch gut erinnern kann, war das mit Abstand schlimmste Erlebnis meiner Kindheit – es passierte in der 1. oder 2. Klasse auf dem Nachhauseweg von der Schule. Und obwohl es nur ein paar Meter bis ans Ende der Straße, einmal über die nächste Ampel, und dann noch ein paar Meter ums Eck waren, so war es doch weit genug entfernt.

Erst Jahre später kam mein Erlebnis tief aus meinem Unterbewusstsein zurück. Heute weiß ich, dass ich als Kind meine Wut unterdrückt habe und die Therapie bei einer Kindertherapeutin mir damals nur dabei half, mich wieder auf andere Dinge zu konzentrieren.

Mit dem Schulrucksack auf dem Rücken ging ich durch das kleine Tor der Schule. Ich musste nach Rechts – doch im Augenwinkel nahm ich zu meiner Linken zwei ältere Jungs wahr. Nennen wir es eine dunkle Vorahnung, doch ich hatte irgendwie ein komisches Gefühl. Dennoch ging ich bestimmt in Richtung Zuhause.

Kurz bevor ich links die Straße überqueren musste, um zur Ampel zu gelangen, spürte ich plötzlich etwas in meinem Nacken. Etwas kaltes berührte meine Kehle und eine Stimme flüsterte in mein linkes Ohr „Ich bring dich jetzt gleich um“.

Leere. Ich war wie blind. Ich konnte nicht denken, ich konnte nicht handeln. Ich konnte nur sterben. Dass es so schnell und plötzlich enden würde…

Da meldete sich die Stimme wieder – „Spaß“.

Ich drehte mich nicht um – auf direktem Weg ging ich nach Hause. An das was dann kam erinnere ich mich nichtmehr, doch ich erzählte wohl Zuhause was passiert war. Und obwohl mir meine Eltern anfänglich nicht glauben wollten, so landete die Sache dann doch bei der Polizei.

Etwas später musste ich dann noch mit einer Lehrerin zusammen Klassenbücher durchsehen. Ich glaube bis heute, einen der Jungen erkannt zu haben. Doch die Lehrerin sagte nur etwas in der Art wie „Das kann nicht sein, ich kenne den, der ist ein lieber Junge, der würde sowas nicht machen“.

Damit war die Sache erledigt. Naja abgesehen von den Therapiestunden – doch auch die endeten und ich vergaß. Ich hatte auch keine Probleme, das Erlebte später immer mal wieder anderen zu erzählen – doch den Schmerz und die Wut, die dabei noch in mir existierten, spürte ich dabei nicht. Erst im Laufe meiner Aufarbeitung, die mit zur Psychose führte, konnte ich die Wut auf diese Ungerechtigkeit zum ersten Mal in ihrem vollen Umfang empfinden.

Ich vergebe euch nicht – das müsst ihr alleine schaffen. Doch ich vergebe mir selbst als Teil eines großen Ganzen.

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