Eine Sache, die meine Cannabis-Psychose zur Folge hatte, war, dass ich meinen Jagdschein verlor. Fast schon überraschend wie schnell und konsequent der deutsche Staat durchgreift, wenn es um die Entwaffnung seiner Bürger geht. Doch das soll an dieser Stelle garnicht negativ klingen – ich selbst bin eigentlich ganz froh, kein Gewehr mehr Zuhause stehen zu haben. Schließlich bin ich im Herzen halt doch mehr Rebell und Musiker, als jemand der jedes Wochenende zum Spaß Tiere tötet.
Einer meiner besten Freunde hatte vor mir seinen Jagdschein gemeinsam mit seinem Vater gemacht. Und als gelegentlichen Jagdbegleiter packte auch mich das Fieber.
In einer Pause zwischen Studium und Praktikum nutzte ich die Zeit. Die Jagdausbildung war wirklich ein tolles Erlebnis. Man lernte über die Geschichte, den Sinn, und die Ausübung der Jagd. Genoss die Gesellschaft, die Arbeit im Wald, und die Ruhe beim Ansitz.
Nun werden einige sicherlich aufschreien – die romantische Darstellung der Jagd als ein Erlebnis, bei dem man auf leisen Sohlen in seinen grünen Gummistiefeln, mit dem Gewehr um die Schulter und dem Rucksack auf dem Rücken, durch den Wald schleicht und voller Aufregung sowie in heller Wachsamkeit den Duft des Waldes, das Rascheln der Blätter und jede Bewegung im Dickicht wahrnimmt, verdrängt doch sehr das erschreckende Gefühl des nahenden Todes, den der Jäger für das Leben eines armen Tieres bedeutet.
Ich esse Fleisch seit ich ein kleines Kind bin und ein gutes Schnitzel hat mir schon immer geschmeckt. Doch die Unmoral beginnt bei der Industrialisierung des Tötens. Statt Wild gibt es Schwein aus Massentierhaltung und Hühner aus verseuchten Legebatterien.
Das erste Reh zu töten war hingegen ein sehr persönliches Erlebnis. Viele Male saß ich an und beobachtete nichts als Hasen und Vögel, bis der erste Bock an der Lichtung erschien. Sofort begann mein Herz schneller zu schlagen, ich nahm mein Fernglas und erkannte das Geweih eines schönen 6ers. Ich spürte meinen Puls steigen und begann ganz langsam, bei dem Versuch möglichst leise zu sein, mein Gewehr in Anschlag zu bringen.
Doch ich konnte noch nicht schießen – der Bock stand falsch und suchte mit der Schnauze noch nach Nahrung. Ich wartete angespannt, ob der Bock mir dieses Mal die Chance geben würde, ihn zu erlegen oder ob er sich aus dem Staub machte, bevor ich meine Gelegenheit bekommen sollte. Er drehte sich. Zwei Schritte vorwärts und er stand perfekt. Freies Schussfeld aufs Blatt. Ganz ruhig spannte ich mein Gewehr, während mein Herz laut pochte.
Ein Knall. Ein kurzer Augenblick verging und der Bock brach an Ort und Stelle zusammen. Zum Glück ein guter Schuss. Jetzt hieß es warten.
Ich beobachtete wie das Tier – in Panik am Boden liegend und kaum begreifend was mit ihm soeben geschehen war – mit seinen letzten Atemzügen nach Luft schnappte bevor das Leben den Körper schlussendlich verließ. Eine viertel Stunde verging und langsam stieg ich vom Hochsitz herab. Ich ging zum Tier und untersuchte den Schuss. Blatt getroffen – alles gut.
Ich begann den Bock aus dem Wald zu tragen – während in der Zwischenzeit mein Kumpel, dem ich während meiner Wartezeit per WhatsApp von meinem Erfolg berichtet hatte, hinzukam. Ein Weidmannsheil und Weidmannsdank trafen sich im Wald und das Tier und der Jäger erhielten in Ehre des Todes ihren Bruch.
Ein Foto vom Erlebnis wurde noch geschossen und es begann die wichtigste Aufgabe des Jägers – das Aufbrechen. Mit wenig Erfahrung außer dem Wissen durch die Ausbildung und unter Anleitung meines Freundes begann ich damit, das Reh vorsichtig aufzuschneiden. Ich musste dabei vorsichtig sein, weil ich keine inneren Organe verletzen wollte, da sonst eine Flüssigkeit hätte austreten können, die das Fleisch ungenießbar machen würde. Mit hochgekrempelten Ärmeln und blutigen Händen griff ich nun bis zu den Ellenbogen in das Tier und holte die Innereien aus dem toten Körper. Was folgte war Teil der Ausbildung – eine Untersuchung der Organe nach Krankheiten. Auch hier zum Glück keine Auffälligkeiten.
Verschwitzt und glücklich über den Jagderfolg wurde das Tier in eine Wanne im Kofferraum des Wagens gehoben und mein Kumpel und ich machten uns auf den Heimweg, um in alter Tradition den Tod des Rehs zu betrinken.
Das Stück Fleisch aus dem Supermarkt mag uns vergessen lassen, was es bedeutet, ein Tier zu töten. Manch einer mag nun angewidert von der Beschreibung des Tötens sein und hat vielleicht schon längst richtiger Weise für sich selbst entschieden, kein Fleisch zu essen. Doch unmoralisch sind vor allem diejenigen, die zwar Fleisch essen, aber selbst nicht in der Lage dazu wären, sich dieses Privileg zu verdienen – weil sie sich vor dem beissenden Geruch der Innereien und dem Gefühl, die Arme in einen noch warmen Körper zu vergraben, ekeln.
Esse ich nun kein Fleisch mehr, da ich meinen Jagdschein verloren habe? – Nein, ich mag zwar nichtmehr im Besitz meines Gewehrs und des Jagdrechts sein, doch ich war bereit dazu, für mein Recht Fleisch zu essen zu töten. Und solange ich weiterhin dazu bereit bin, ein Tier für meinen Konsum jederzeit selbst zu erlegen, so wird das auch nichts an meiner moralischen Haltung ändern.
Doch wie in allen Dingen habe ich in meiner Zeit als Jäger auch nicht von Anfang an alles gewusst und richtig gemacht. Ein schlechter Schuss, eine Nachsuche, und ein Begräbnis im Wald sind zwar alles andere als ein tolles Erlebnis und auf keinen Fall wünschenswert, aber sie können durchaus vorkommen.
